Die Große Aula der Ludwig-Maximilians-Universität ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Wer keinen der alten Holzsitze mehr ergattert, steht an der Wand oder bleibt im Türrahmen hängen. Es ist ein milder Oktoberabend, aber im Saal ist die Luft dicht. Vielleicht liegt es an der Zahl der Menschen. Vielleicht auch an der Schwere des Themas.
Die LMU eröffnet ihr neues Zentrum für Ungleichheitsforschung, das Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI). Eigentlich war ein bescheidener Auftakt geplant, eine akademische Veranstaltung im klassischen Rahmen. Was stattdessen stattfindet, ist ein Abend, der die Anwesenden in Bewegung versetzt. Und das liegt an den Stimmen, die hier sprechen – und an den Fragen, die sie stellen.
Zugeschaltet per Video ist Thomas Piketty, der französische Ökonom, dessen Bücher seit Jahren Debatten auslösen. Er spricht über die Macht, die Vermögen verleiht, und über die Notwendigkeit politischer Reformen. Wer von Gerechtigkeit rede, dürfe vor Umverteilung nicht zurückschrecken, sagt er. Die Demokratie selbst stehe auf dem Spiel.
Ingrid Robeyns, Philosophin aus Utrecht, betritt das Podium mit ruhiger Stimme, aber klarem Ziel. Sie stellt ihr Konzept des Limitarismus vor – die Idee, dass es ethisch und politisch vertretbar ist, Reichtum nach oben zu begrenzen. Was wäre, fragt sie, wenn wir Reichtum nicht länger als private Errungenschaft feiern, sondern als öffentliche Verantwortung begreifen?
Charlotte Bartels bringt die Perspektive auf Deutschland mit. Sie zeigt historische Daten, Grafiken, Kurven, die alle in eine Richtung deuten: Vermögen konzentriert sich, vor allem über Erbschaften. Der Sozialstaat gleicht einiges aus, aber beim Reichtum ist er auffällig still.
Durch den Abend führt Fabian Pfeffer, Soziologe, Rückkehrer aus den USA und Gründungsdirektor des neuen Zentrums. Er spricht nicht nur über Forschung, sondern über Haltung. Das ISI, sagt er, solle ein Ort sein, an dem realistische Alternativen gedacht werden. Pfeffer nennt sie Realutopien: konkrete Visionen einer gerechteren Gesellschaft, fundiert durch Daten, getragen von Wissenschaft, offen für Öffentlichkeit.
Der Abend endet ohne Applauspausen, aber mit Nachhall. Draußen auf dem Gang diskutieren Studierende, Professorinnen, Gäste aus Politik und Medien. Niemand scheint zu gehen, niemand spricht über den Buffetwein.
Denn der Abend zeigt: Ungleichheit ist kein abstraktes Konzept. Sie betrifft das tägliche Leben, sie entscheidet über Bildung, Gesundheit, Wohnen, Würde. Und vor allem – sie ist gestaltbar.
Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieser Eröffnung. Dass es Orte wie das ISI braucht, die Fragen stellen, wo andere Antworten liefern. Die Unruhe aushalten, wo andere beruhigen wollen. Und die zeigen, dass Hoffnung nicht im Versprechen schneller Lösungen liegt, sondern im gemeinsamen Suchen nach gerechteren Wegen.
An diesem Abend jedenfalls wirkt es so, als hätte dieses Suchen gerade erst begonnen.